Wow, das war schnell! Erst gerade habe ich Australien verlassen, vor etwa fünf einhalb Wochen, und schon bin ich hier, bei den guten alten Römer. Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Gerade mal 179 Jahre sind es her, seit die ersten weissen Einwanderer nach Westaustralien am Strand von Cottesloe nördlich von Fremantle strandeten, nach einer langen Reise von über acht Monaten über die Ozeane von England.
Was meine Reise betrifft, waren es zuerst gerade mal sechs Tage von Fremantle nach Singapur auf dem Container Schiff „Theodor Storm“. Dann musste ich in Singapur lange genug auf das nächste Schiff warten, dass ich eigentlich noch ein bisschen in Malaysien oder Indonesien hätte herumreisen können. Aber ich war überhaupt nicht mehr in Reisestimmung und beschloss ganz einfach in Singapur auszuspannen, und die Tage einfach so zu nehmen wie sie gerade kommen und gehen, während ich die anderen Reisenden beobachtete, wie auch sie gerade kommen und gehen.
So zum Beispiel eine englische Dame in ihren fünfzigern, auf dem Weg nach Australien, um mit einer Gruppe von Aboriginals im Arnhemland auf Walkabout zu gehen; oder eine Schweizer Studentin auf ihrer Reise zurück in die Schweiz nach einem Urlaub in Malaysien, und die im Sommer in Teheran im selben Institut Persisch studieren wird, wo ich vor einiger Zeit ebenfalls zwei Wochen verbracht hatte; oder der Amerikanische Ingenieur, der für unbestimmte Zeit um die Welt reist und sein Tagebuch auf Esperanto schreibt...
Man muss nicht wirklich reisen um interessante Leute zu treffen. Manchmal kann man sich auch einfach irgendwo hinsetzen und sie vorbeikommen sehen.
Aber nach 18 Tagen in Singapur war ich dann doch froh, dass ich mich wieder bewegen und an Bord der „Al Fujairah“ klettern konnte. Wie sich herausstellte, war ich diesmal nicht der einzige Passagier. Da war auch Maud und Ola, ein pensioniertes schwedisches Ehepaar, und Pius, ein noch nicht pensionierter Schweizer unterwegs nach Hause.
Das Meer war ausserordentlich ruhig, insbesondere auf dem Indischen Ozean, zuweilen so flach wie das Wasser in der Badewanne. Zuweilen war es auch ausserordentlich verkehrsreich, wie auf einer Autobahn. Bis wir Sri Lanka passiert hatten, waren immer mindestens vier oder fünf Frachter um uns herum, so dass ich mich fragte, wann wir denn endlich die offene See erreichen würden. Erst nach Sri Lanka verteilten sich die Schiffe etwas, wohl beim Versuch die Piraten um Somalia zu umfahren, oder weil sie ganz einfach weiter nördlich abdrehen Richtung Persischen Golf.
Mit vorgegebenen Essenszeiten, einer Sauna, einem Tennistisch, einem Schwimmbecken, Bücher, Zeitschriften, Filme, Spiele und einer viel plaudernden Maud, verging die Zeit überraschend schnell, und ich erledigte überraschend wenig von dem was ich mir alles vorgenommen hatte. Irgendwann auf halbem Weg lud uns der Kapitän zu einem Grillfest mit Karaoke ein. Dann zeigte uns der Chef-Ingenieur den Motorraum, wo ich mich so klein fühlte wie Johnny, wenn er auf einem Automotor rumklettern würde. Eine eindrückliche Maschine, welche uns Tag und Nacht in Bewegung hielt. Gerade mal 24 Stunden nachdem wir den Sand der Sinaiwüste um den Suezkanal passiert hatte empfing uns Europa mit den verschneiten Bergen auf Kreta.
Nach fünfzehn im wortwörtlichen Sinne langen Tagen – sieben davon waren 25 Stunden lang, um die Zeitverschiebung auszugleichen – kamen wir also in Genua an. Beinahe zumindest. Eine Stunde vor unserer erwarteten Ankunft – ich konnte bereits das Licht des Leuchtturms von Genua sehen – drehte unser Schiff plötzlich ab in den Wind, wurde langsamer und stand dann ganz still. Zwei rote Lichter auf dem Masten gingen an, das heisst, wir trieben einfach vor uns hin, 20 Seemeilen vor Genua. Den Champagner versorgten wir vorerst wieder im Kühlschrank und erkundigten uns stattdessen auf der Brücke was los ist. Unser Liegeplatz sei besetzt, wir müssen einen Tag warten.
Heute an einem sonnigen frühlingshaften Tag konnten wir dann endlich vom Schiff. Es muss erst gerade wärmer geworden sein, die Italiener stecken alle noch in ihren dicken Wintermäntel, obwohl ich dachte, dass es auch mit T-Shirt warm genug war. Vielleicht habe ich auch einfach noch etwas Wärme aus Australien in mir. Auf jeden Fall: "Buon Giorno Italia!"
Übrigens:
Gemäss dem Schiffsmechaniker verbrauchte unser Schiff etwa 80 Tonnen Treibstoff pro Tag. Mit dieser Information habe ich ein bisschen gerechnet: Die Verbrennung von 80 Tonnen Treibstoff produziert etwa 200 Tonnen Kohlendioxid (CO2). Und dies jeden Tag. Unser Schiff alleine hat also auf der Reise von Singapur nach Genua insgesamt etwa 3000 Tonnen CO2 produziert, während dabei rund 1800 Tonnen lebensnotwendigen Sauerstoff der Luft entnommen wurde.
Das tönt wahnsinnig und überhaupt nicht gesund. Ich wollte darob schon von Bord springen, als ich beschloss, noch etwas weiterzurechnen:
Unser Schiff hat ein Bruttogewicht von ungefähr 35'000 Tonnen und die Distanz von Singapur nach Genua beträgt etwa 12'000 Kilometer. Das heisst, für jede Tonne Bruttogewicht, die wir um einen Kilometer bewegt haben, produzierten wir etwas über 7 Gramm CO2.
Genauso kann man errechnen, dass ein beladenes Auto, mit einem Gewicht von 1,6 Tonnen, das 8 Liter Treibstoff (6,4 kg) auf 100 Kilometer verbraucht, rund 100 Gramm CO2 pro Tonne und Kilometer produziert.
Ich gebe zu, vielleicht ist der Vergleich ja nicht so gut, und die Zahlen sind wohl auch nicht sehr präzise. Aber das Resultat war überzeugend genug, dass ich beschloss, doch bis Genua an Bord zu bleiben. Alles in allem ist das Reisen mit einem Frachtschiff um ein Vielfaches energieeffizienter als Reisen mit Auto oder mit dem Flugzeug.
Aber die Trophäe geht natürlich an die ersten europäischen Einwanderer nach Westaustralien. Ihre vom Wind angetriebene Reise mag zwar acht Monate gedauert haben, aber immerhin hatte sie, zumindest was die Energieeffizienz betrifft, eine hervorragende Bilanz... |